Maria, die Mutter Jesu, wird in der Bibel als starke Persönlichkeit dargestellt, als Vorbild des Glaubens – von ihr ist biografisch aber nur wenig bekannt.

Der Gott Israels bedient sich immer wieder einzelner Menschen, um seine Botschaft in diese Welt zu bringen. Viele von ihnen erschrecken über den Anruf und halten sich für zu klein und unbedeutend, um Werkzeug des Schöpfers zu sein. So lesen wir in der Bibel von Mose, der sich zu klein von Gestalt achtet, von dem Prophet Jesaja, der sich minderwertig fühlt und von dem widerspenstigen Jona, der sogar ein Schiff in die Gegenrichtung nimmt um vor Gott zu fliehen.

Sandsteinmadonna mit Jesuskind, Zistersienserstift Rein, Steiermark, 1380

Sandsteinmadonna mit Jesuskind, Zistersienserstift Rein, Steiermark, 1380

Maria reagiert ganz anders. Der Anruf von Gott war für sie ebenfalls unvorbereitet und sie erschrickt darüber, aber sie wehrt sich nicht. Der Evangelist Lukas berichtet:
“Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben … Da sagte Maria: Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du gesagt hast.” Damit ist klar: Durch ihren unbedingten Gehorsam gehört Maria zu den stärksten biblischen Persönlichkeiten. Marias Loblied, das von ihr überliefert wird, das “Magnificat” (Lukas 1, 39 – 55), bezeugt ihre Glaubensstärke und ihr Gehorsam. Dieses Lied ist das wichtigste Loblied der Christenheit. Abgesehen von dieser und wenig anderen Bibelstellen, wundert man sich darüber, dass ihr als Mutter des Herrn im Neuen Testament so wenig Aufmerksamkeit zuteil wird. In nur vier der 27 Schriften wird sie erwähnt. Dennoch hat sich in Europa eine reiche Marienverehrung entwickelt.
Woher das Ungleichverhältnis zwischen biblischen Schriften und der späteren Verehrung Marias kommt, wird erklärt dadurch, dass die Menschen sich sehr früh für die Person Marias interessierten. Sie wollten mehr und mehr erfahren und stillten ihren Wissensdurst mit dem Jakobus-Evangelium, das aus der Mitte des zweiten Jahrhunders stammt und nicht kanonisiert wurde, weswegen es sich auch nicht im Neuen Testament befindet. Bei Jakobus finden wir nicht nur die Geburtsgeschichte viel ausführlicher als bei den Synoptikern, dort finden wir auch Information über die Eltern Marias, Joachim und Anna. Auch über Maria als Kind wird viel erwähnt.

Der Impuls für ein neues Marienbild kommt in den Augenblick, als das Christentum auf die griechisch-römische Kultur stößt, in der es eine reiche Verehrung von Göttinnen gegeben hat. Da hat das Christentum bemerkt, dass es ein Defizit hat, eine Leere, weil sie zu sehr zu maskulinen Strukturen neigt in dem Vater, Sohn und Geist vorherrschend sind. Man erkannte, daß sich mit dem Gedenken an Maria ein wichtiges emotionelles Bedürfnis nach Weiblichkeit erfüllen lässt.
Die übertriebene Marienverehrung stammt jedoch vom Jahr 380, als das Christentum zur Staatsreligion wird, der Kaiserhof christlich geworden ist, und es zu einer Verflechtung zwischen weltlicher Elite und christlichem Alltag kommt. Und in diese Welt passt nun ein einfaches Mädchen jüdischer Herkunft nicht mehr – und auch nicht ihr einfacher Sohn aus einem kleinen Dorf in Galiläa. Es konnte nicht sein, dass der Retter der Welt und seine Mutter armseliger dargestellt werden als der Kaiser und die Kaiserin. In der Folge wurden die Christusfigur und Maria mit kaiserlichen Attributen ausgestattet. Auch Maria wurde in Purpur gekleidet und als “Herrin” bezeichnet und übernahm zunehmend die Rolle der Vermittlerin.
Diese Marienverehrung ist für viele junge Gläubige heute weniger wichtig und hat in unserer heutigen Zeit zu einem deutlichen Umdenken geführt und so hat Papst Franziskus vor einem Jahr gesagt, dass die Kirche ihr Frauenbild neu überdenken müsse.
Bei uns Lutheraner spielt die Marienverehrung nicht eine wichtige Rolle, aber es ist doch interessant um den Ursprung der Verehrung der in Purpur gekleideten Madonna der römisch-katholischen Kirche zu verstehen.

“Anna selbdritt”: in vielen gotischen Kirchen zu findende Abbildung oder Skulptur der Heiligen Anna, Mutter Marias, und der heiligen Maria und dem Heiligen Jesuskind. (selbdritt = zu dritt)